Wird Alain Berset diese Reform glaubwürdig vertreten können?
- viertesaeule
- 19. Jan. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Ist das nun ein gutes Zeichen für die BVG-Revision, dass Alain Berset das Innendepartement behalten hat? Bei der letzten Vakanz ist spekuliert worden, der Sozialdemokrat möchte ins Finanz- oder ins Aussendepartement wechseln. Nun wird er nach elf Jahren mindestens noch eines als Gesundheitsminister anhängen. Ob freiwillig oder unfreiwillig tut hier nichts zur Sache. So oder so wird der Freiburger bemüht sein, die BVG-Revision noch ins Trockene zu bringen, sollte er nicht auf Ende 2023 nach seinem Präsidialjahr zurücktreten.
Wird ihm das gelingen? Sein Schlussvotum in der BVG-Debatte vom 12. Dezember 2022 könnte darüber Aufschluss geben. Eben haben die Ständeräte ihre bekannten Standpunkte dargelegt, ehe der Gesamtrat gemäss Antrag der Kommissionsmehrheit die Vorlage mit 25 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen verabschiedet hat.
Alain Berset in Hochform
Aber noch vor der Abstimmung läuft der eloquente Romand zu seiner Hochform auf. Er plädiert wenig überraschend für das Bundesratsmodell, das - wie er wiederholt betont - nicht der Bundesrat erfunden hat, sondern die Sozialpartner. Es sei selten, sagt er, dass sich die Sozialpartner in der 2. Säule zu einem Kompromiss zusammenfänden. Das hätte ihn selber überrascht. Überrascht hätte ihn aber auch, dass das Projekt im Parlament nie ernsthaft geprüft wurde. Dabei vermöge allein der Entwurf des Bundesrats die Senkung des Umwandlungssatzes bei allen Versicherten auszugleichen.
Zudem erinnert Berset an das erste Modell der ständerätlichen Kommission, welches Mitte 2022 einen seltsamen Verlauf nahm und in der Sommersession zurück an die Kommission geschickt wurde. Dieses hätte zwar nicht einen Rentenzuschlag für alle garantiert, aber immerhin für 88 Prozent.
«Damals konnte man sagen, dass eine riesige Mehrheit, fast 90 Prozent der Übergangsgeneration, von einem Ausgleich und einem Rentenzuschlag profitieren würde.» Das hätte man erklären können.
Vom Modell des Ständerats, das eben an jenem 12. Dezember verabschiedet wurde, hält der Magistrat hingegen wenig. Es sei nur unwesentlich besser sei als jenes des Nationalrats. Berset bemängelt, dass nur eine Minderheit der Übergangsgeneration Anspruch auf einen Ausgleich hat. Einen vollen Ausgleich erhalten etwa 25 Prozent der Versicherten und einen teilweisen Ausgleich weitere 25 Prozent. «Aber es bleibt tatsächlich eine gute Hälfte übrig, die nichts bekommen wird. Und hier stellt sich die gleiche Frage: Wie soll man unter diesen Umständen eine Reform zu Ende führen?»
Der Rede des Gesundheitsministers und aktuellen Bundespräsidenten sei hier deshalb viel Raum gewährt, weil er im Fall eines Referendums in den Fernsehsendungen «Arena» und «Infrarouge» die Vorlage verkaufen sollte, so wie er das vor der zurückliegenden Abstimmung zur AHV-Reform erfolgreich und überzeugend getan hat. Wird Alain Berset ebenfalls in magistraler Manier eine BVG-Reform verteidigen können, die weit entfernt vom Projekt der Sozialpartner liegt? Wer seiner freigehaltenen und für seine Verhältnisse langen, aber nicht zu langen Rede aufmerksam zuhörte, wird berechtigte Zweifel haben.
Die Frage ist natürlich, ob es überhaupt zu einem Referendum kommen wird, sollte die BVG-Revision nicht schon in der Schlussabstimmung allerfrühestens in der kommenden Sommersession, möglicherweise in Herbst- oder wahrscheinlich erst nach den Wahlen in der Wintersession Schiffbruch erleiden.
Jede Reform bringt Vorteile für die Frauen
Zwar gehen Beobachter davon aus, dass das linksgrüne Lager das Referendum ergreifen wird. Hier ist aber folgendes zu bedenken: Jede Reform, ob jene des National- wie jene des Ständerats, bringt im Vergleich zum Status quo Vorteile für Teilzeit- und Mehrfachbeschäftige und damit insbesondere auch für Frauen. Wie wollen linke Politikerinnen den Frauen erklären, sie sollen eine Vorlage ablehnen, die ihnen im Vergleich zum Status quo Vorteile bringt?
Auch jene rund 15 Prozent ohne überobligatorisches Polster können kein Interesse am Scheitern haben, weil gerade sie von Zuschüssen profitieren. Die einzigen Interessenvertreter, die für sich sachliche Nachteile der Reform geltend machen können, sind die KMU, die als Arbeitgeber mit jedem Modell höhere Kosten in Kauf nehmen müssen - ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten.
«Kein Wunder», schreibt der Gewerbeverbands-Vize Kurt Gfeller in der Gewerbezeitung, «dass auch im bürgerlichen Lager die Zahl derer steigt, die meinen, dass es wohl gescheiter sei, sich mit dem Status Quo zu arrangieren.»
Müllers Modell ist am günstigsten
Der Luzerner Damian Müller gehört zu jenen, die nicht nur an die Frauen, sondern eben auch an die KMU denkt. Sein Minderheitsantrag wurde im Ständerat erstaunlicherweise nicht ernsthaft thematisiert. Immerhin ist er dank der Stimmen der Linken mit 24 zu 19 Stimmen nur relativ knapp verworfen worden. Nach Müllers Minderheitsantrag könnten um die 6O Prozent der Versicherten von Zuschüssen profitieren. Weil er 20 statt 15 Jahrgänge umfasst und eine höhere Bezügerquote aufweist, würde er 17 Mrd. Franken und damit 5 Mrd. Franken mehr kosten als das Ständeratsmodell und 7 Mrd. mehr als das Nationalratsmodell.
Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. «Es wird fälschlicherweise immer von den Kosten für die Übergangsgeneration gesprochen», sagt Müller im Gespräch mit «Schweizer Personalvorsorge». Massgebend seien aber ebenso die Langfristkosten und damit die Gesamtkosten. Hier sei sein Modell am günstigsten. Das zeigt eine Übersicht des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) vom 29. November 2022. Gemäss dieser Übersicht belaufen sich die Gesamtkosten bei Müller auf 49 Mrd., beim Ständeratsmodell auf 58 und beim Nationalratsmodell auf 60 Mrd. Franken.
Also nochmals: Bei den Zuschüssen für die Übergangsgeneration ist Müller am grosszügigsten, unter anderem wegen der längeren Bezugsdauer von 20 statt 15 Jahrgängen. Hingegen bei den Langfristmassnahmen ist er am sparsamsten, unter anderem wegen dem tieferen Koordinationsabzug und dem später einsetzenden Sparprozess.
Und wenn wir es schon mit den Minderheiten haben: Von einer Gruppe Versicherten war in der BVG-Debatte nicht mit einem Wort die Rede, obschon sie rund 25 Prozent der Versicherten stellt: All jene, die voll oder wenigstens teilweise das Kapital beziehen. Kurzfristig ändert sich für sie nichts. Sobald aber die Reform in Kraft tritt, werden sie einen höheren versicherten Lohn aufweisen und damit höhere steuerfreie Arbeitgeberbeiträge erhalten. Im Endeffekt führt das zu einem höheren Kapital, mit dem sie ihre Pensionierung finanzieren können.
Erschienen in «Schweizer Personalvorsorge» Mitte Januar 2023
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