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Keine Lösung für Mehrfachbeschäftigte

Aktualisiert: 26. Juni


 

Das Konzept der 2. Säule stösst an seine Grenzen, wenn es darum geht, es an gesellschaftliche Änderungen anzupassen. Besonders ausgeprägt zeigt sich das bei den Mehrfachbeschäftigten.


Mit der BVG-Revision, die im vergangenen Herbst an der Urne scheiterte, hätten die Nachteile für Mehrfachbeschäftigte ausgemerzt werden sollen. Doch eine überzeugende Lösung liess sich nicht finden. So darf man nüchtern feststellen: Zumindest für Mehrfachbeschäftigte bringt die Ablehnung der Revision weder Vor- noch Nachteile.


Postulat Rechsteiner

 

Bereits in der Wintersession 2023, also vor der genannten BVG-Abstimmung, überwies der Nationalrat das Postulat 23.4168 von Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner: «Situation der Mehrfachbeschäftigten in der zweiten Säule verbessern».


Der Bundesrat unterstützt das Anliegen und soll nun in einem Bericht aufzeigen, wie die Versicherungspflicht der 2. Säule auch auf Personen ausgedehnt werden kann, die für mehrere Arbeitgeber tätig sind, jedoch bei keiner Anstellung die Eintrittsschwelle überschreiten.


Wie aufregend. Wie revolutionär. So sei an eine einfache Anfrage an den Bundesrat erinnert:

1. Wie verbreitet sind Mehrfachanstellungen in der Schweiz?2. Welche Folgen hat dieses Arbeitsmodell für die betroffenen Personen?

3. Läuft dieses Arbeitsmodell nicht Gefahr, zu Diskriminierungen von Frauen zu führen?

4. Welche Massnahmen gedenkt der Bundesrat zu treffen, um sicherzustellen, dass Mehrfachanstellungen in Teilzeit nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Sozialgesetzgebung stehen?

 

Quizfrage: Wer hat diese einfache Anfrage an den Bundesrat gestellt? Es war der jurassische SP-Nationalrat Jean-Claude Rennwald. Die Anfrage reichte er am 5. Juni 2001 ein, also vor 24 Jahren.

 

Nicht gescheiter als vor 24 Jahren

 

Die damalige Antwort des Bundesrats vom 22. August 2001 hat bis heute an ihrer Aktualität nichts eingebüsst: «Die aktuelle Gesetzgebung erlaubt es zwar den Arbeitnehmenden, die bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt sind und die insgesamt - durch Zusammenzählen der verschiedenen Löhne - den Koordinationsabzug erreichen, von den einzelnen Arbeitgebern zu verlangen, dass sie Beiträge für die zweite Säule leisten, sei es bei einer Pensionskasse eines Arbeitgebers oder bei einer Auffangeinrichtung».

 

Zur Präzisierung: Der Bundesrat schreibt Koordinationsabzug und nicht Eintrittsschwelle. Der Grund liegt darin, dass beide Schwellenwerte damals identisch waren - nämlich 24'720 Franken.

 

Der Bundesrat räumte schon damals ein, dass das System aus verschiedenen Gründen unbefriedigend sei. Einerseits verpflichte es die Versicherten, sich selber um ihre berufliche Vorsorge zu kümmern. Andererseits seien «gewisse Arbeitgeber wenig geneigt, solche Personen versichern zu lassen.» Heute würde man es kaum anders formulieren.


Mehrfachbeschäftigte: keine homogene Gruppe


Wichtig ist zudem: Mehrfachbeschäftigte sind keine homogene Gruppe. Es macht einen Unterschied, ob jemand bei einem Haupterwerb über eine Pensionskasse versichert ist und daneben noch einem Nebenjob nachgeht, oder ob jemand für mehrere Arbeitgeber gleichzeitig tätig ist – etwa als Freelancer oder Kulturschaffende.


2024 hatten 384'000 zwei oder mehr Jobs, das sind gut 8 Prozent der Erwerbstätigen. Davon hatten 323'000 zwei Jobs und 62'000 arbeiteten für drei oder mehr Arbeitgeber.


Wie den Personen mit drei oder mehr Auftraggebern eine bedarfsgerechte Vorsorge ermöglicht werden kann, beschrieb Stephan Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Pensionskasse Winterthur, in der April-Ausgabe von Schweizer Personalvorsorge. Als Beispiel nannte er die Vorsorgestiftung Film- und Audiovision.


Wir dürfen also gespannt sein, welche Lösungsvorschläge der Bericht zum Postulat Rechsteiner liefern wird – 24 Jahre nach Rennwalds Anfrage. Es dürfte Herbst werden.

 

Mangelhafte Datenlage

 

In derselben April-Ausgabe von Schweizer Personalvorsorge kritisierte Gabriela Medici vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund die mangelhafte Datenlage. Dabei denkt sie unter anderem an Daten zur Lebenserwartung. Es gebe keine öffentlich verfügbaren Daten für die Lebenserwartung der obligatorisch Versicherten, obwohl die berufliche Vorsorge obligatorisch sei.  

 

Die heute verwendeten Grundlagen „VZ“ und „BVG 2020“ stammten aus Statistiken, die von Privaten erhoben würden. Darauf könne nur nach Bezahlung einer erheblichen Lizenzgebühr zugegriffen werden. Zudem könnten die Grundlagen auch nicht überprüft werden.

 

Auf das Problem der mangelhaften technischen Grundlagen hat Stephan Wyss von der Prevanto schon im Mai 2021 in Schweizer Personalvorsorge hingewiesen. Er sprach dabei von der «Macht der technischen Grundlagen», auf die Experten der 2. Säule angewiesen seien.

 

Auch die SKPE verlangt bessere Daten

 

Nicht nur die Gewerkschaften, auch die Schweizerische Kammer der Pensionskassen-Experten (SKPE) beklagt das unzureichende Datenmaterial. Laut ihrem Präsidenten André Tapernoux

würde zum Beispiel interessieren, wie viele Pläne reine BVG-Pläne oder BVG-nah sind und wie viele Personen darin versichert sind. Auch zu den Auswirkungen einer Senkung des BVG-Umwandlungssatzes oder zu dessen Finanzierung lasse sich aus den verfügbaren Daten kaum etwas herleiten.

 

«Für solche Zahlen wäre es sinnvoll, die Erhebung entweder zu ändern oder in geeigneter Art andere Zahlen zu verwenden», sagt SKPE-Präsident André Tapernoux. Die SKPE habe deshalb im Januar 2025 in einem Schreiben das BSV gebeten, diese Daten in Zukunft zu erheben. Das BSV sei aber bisher nicht darauf eingetreten.


Teilzeit: Auswirkungen auf die Rente?


Um zuverlässige Daten geht es auch bei der Motion 23.3898 von Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit: Bessere Strukturierung der Rentenfinanzierung dank zuverlässiger Daten zu den Arbeitsmodellen, insbesondere Teilzeit. Die Motion wurde in der zurückliegenden Sondersession mit 102 zu 88 Stimmen relativ knapp angenommen.


Roduit fordert, dass das Bundesamt für Statistik (BFS) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) systematisch Daten erheben, um die Auswirkungen von Teilzeitarbeit auf die Renten besser analysieren zu können.


Erst wenn solide Daten vorliegen, so Roduit, könne man politische Vorschläge konkret und sachlich diskutieren – und nicht mehr mit der Ausrede ablehnen, die Sachlage sei zu komplex oder Daten fehlten.


Laut Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider schlägt die Motion offene Türen ein. Die Auswirkungen unterschiedlicher Arbeitsmodelle auf die AHV werde im Rahmen der nächsten AHV-Reform geprüft, die für den Zeitraum 2030 bis 2040 vorgesehen ist. Erste Vorschläge und Analysen sind Ende 2026 zu erwarten.

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Erschienen in Schweizer Personalvorsorge 11. Juni 2025

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