Wer Rückstellungen bildet, ist der Dumme
- viertesaeule
- 17. Nov. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Es geht nicht nur darum, eine gerechte Lösung zu finden. Es geht primär darum, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden.
Pensionskassen, die Rückstellungen bildeten, sind die Dummen. So könnte man den Beschluss der nationalrätlichen Sozialkommission (SGK-N) in ihrer dritten Lesung von Ende Oktober formulieren. Denn Pensionskassen mit genügend Rückstellungen müssen für Versicherte zahlen, deren Vorsorgeeinrichtungen zu wenig Rückstellungen bildeten.
Das geht so: Wegen der Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent sollen 15 Jahrgänge der Übergangsgeneration einen Rentenzuschlag bekommen.
Für die ersten fünf Jahrgänge sind jährlich maximal 2400 Franken, für die nächsten fünf Jahrgänge 1800 und für die letzten fünf Jahrgänge 1200 Franken vorgesehen.
Im Unterschied zum Vorschlag des Bundesrats sollen aber nicht alle Rentnerinnen und Rentner der Übergangsgeneration einen Zuschlag bekommen. Nur 35 bis 40 Prozent könnten davon profitieren. Nämlich jene, deren überobligatorische Guthaben zu wenig hoch sind, um die Umwandlungssatzsenkung auf dem obligatorischen Teil auffangen zu können. Oder in den Worten der SGK-N: «Überobligatorische Leistungen der Pensionskassen werden mit dem Rentenzuschlag verrechnet».
Finanziert werden diese Zuschläge durch den Sicherheitsfonds, der zu diesem Zweck von allen Pensionskassen mit 0,15 Prozent der BVG-Löhne alimentiert wird. Doch der Sicherheitsfonds zahlt nur jenen Versicherten die entsprechenden Zuschläge, deren Pensionskassen keine oder nicht genügend Rückstellungen gebildet haben.
Man mag das unschön finden. Aber was ist die Alternative? Eine Finanzierung mit der Giesskanne, wie sie der Bundesrat empfiehlt, basierend auf dem Sozialpartnerkompromiss? Oder nur einen Ausgleich für Versicherte, deren Vorsorgeeinrichtungen ihre Hausaufgaben nicht gemacht und zu wenig Rückstellungen gebildet haben?
Es geht nicht nur darum, eine gerechte Lösung zu finden. Es geht primär darum, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden.
Stets ist nur von der Senkung des Umwandlungssatzes die Rede. Mindestens so wichtig ist die Erhöhung der Altersgutschriften. Denn mit der Halbierung des Koordinationsabzugs werden die Pensionskassenbeiträge auf einem grösseren Teil des Lohnes erhoben. Der maximale BVG-Lohn steigt somit von 60'435 auf 72’877 Franken. Hinzu kommt, dass laut SGK-N schon ab Alter 20 und nicht erst ab 25 Sparbeiträge abgezogen werden sollen. In diesem Punkt geht die SKG-N sogar weiter als der Bundesrat.
Grüne Frauen wollen keine Ausgleichsmassnahmen
Eine mehrheitsfähige Lösung zu finden - das gilt auch für die AHV-Minirevision. Sie sollte in der kommenden Wintersession zur Abstimmung kommen, nachdem der Ständerat in der Herbstsession noch Differenzen zum Nationalrat zu bereinigen hatte. Das gelang beim AHV-Freibetrag für Rentner sowie beim Mehrwertsteuerzuschlag. Doch der heikle Punkt der Ausgleichsmassnahmen zur Kompensation des Frauenrentenalters konnte nicht bereinigt werden. Wie vor Monatsfrist an dieser Stelle berichtet, plädiert der Ständerat für ein Modell mit einem zuerst progressiven dann degressiven Verlauf für neun Jahrgänge.
Unter dem Strich gäbe es damit für Frauen insgesamt weniger hohe Ausgleichsmassnahmen als vom Bundesrat vorgeschlagen. Verständlicherweise sagte darauf SP-Ständerätin Marina Carobbio im Schweizer Fernsehen: Die vom Ständerat beschlossenen Ausgleichsmassnahmen für Frauen zur Kompensation des höheren Frauenrentenalters könne so nicht akzeptiert werden. Die SP werde das Referendum ergreifen, wenn das im Rat in dieser Form beschlossen werde.
Unverständlicherweise will aber die Tessiner Ständerätin nicht verraten wie die Ausgleichsmassnahmen daherkommen müssten, damit einer Anpassung des Frauenrentenalters zugestimmt werden könnte. Die Ärztin aus dem Südkanton liess eine entsprechende Frage unbeantwortet.
Auch das SP-Generalsekretariat tut sich schwer mit dieser Frage: «Da die in der AHV21 vorgesehenen Ausgleichsmassnahmen bei weitem nicht genügen, lehnt die SP die AHV-Reform des Bundesrats in dieser Form ab», schreibt Nicolas Haesler in seiner Antwort.
Wie aber die Ausgleichsmassnahmen konkret daherkommen müssten, beantwortet der SP-Sprecher auch beim Nachhaken nicht. Er weicht erneut aus und schreibt lapidar: «Damit die SP eine Erhöhung des Frauenrentenalters akzeptieren würde, müssten die Ausgleichsmassnahmen wesentlich besser sein als im Vorschlag des Bundesrats.» Wie genau besser? SCHWEIZER PERSONALVORSORGE verzichtet darauf, ein zweites Mal nachzuhaken.
Vielleicht hilft das Protokoll der AHV-Debatte der Juni-Session weiter, um zu ergründen, was linke, aber vor allem grüne Frauen überhaupt wollen. Fünf Minderheitsanträge sind von linksgrüner Seite eingereicht worden.
Die von der grünen Waadtländerin Leonore Porchet angeführte Minderheit I will eine neue Vorlage, welche eine Zusatzfinanzierung der AHV durch Nationalbankgewinne vorsieht und «von jeglichem Leistungsabbau Abstand nimmt».
Minderheit II der ebenfalls grünen Katharina Prelicz-Huber will den Verfassungsauftrag laut Artikel 112 Absatz 2 Buchstabe b umgesetzt wissen: «Die Renten haben den existenzbedarf angemessen zu decken.»
Die Zürcherin Prelicz-Huber führt auch die Minderheit III an: Sie verlangt eine Vorlage, welche die Stabilisierung der AHV mit einer Erhöhung des Bundesbeitrags bewerkstelligt.
Manuela Weichelt, Grüne aus Zug, verweist mit ihrer Minderheit IV ebenfalls auf die Verfassung – und zwar auf den Rechtsgleichheitsartikel 8 Absatz 3: «Mann und Frau sind gleichberechtigt». Dieser Verweis erstaunt: Daraus müsste ja erst recht Frauenrentenalter 65 oder wenigstens Männerrentenalter 64 gefordert werden. Doch Manuela Weichelt, nota bene ehemalige Zuger Regierungsrätin, will die Vorlage mit einem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verbinden, die «unverzüglich für gleichen Lohn bei gleichwertiger Arbeit sorgt.»
Nur eine Frau, von der man es nicht unbedingt erwartet hätte, scheut sich nicht, das Wort Kompensationsmassnahmen in den Mund zu nehmen: SP-Co Präsidentin Mattea Meyer will im Namen der Minderheit V die Diskussion von Kompensationsmassnamen so lange aussetzen, bis eine BVG-Vorlage mit Rentenverbesserungen bei Teilzeit- und Tieflöhnen verabschiedet sein wird.
Man kann das gut finden oder schlecht: Immerhin schliesst die im Mutterschaftsurlaub befindliche und vor wenigen Tagen 34 Jahre alt gewordene zweifache Mutter eine Anpassung des Frauenrentenalters nicht kategorisch aus.
Erschienen in Schweizer Personalvorsorge am 17. November 2022
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