Raiffeisen: Dank Vincenz haften wir Steuerzahler
- viertesaeule
- 23. Jan. 2022
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«Hat Vincenz die Bodenhaftung verloren?», schrieb ich 2012, also bevor er seine öffentliche Gunst verspielte. Ich kritisierte damals die Übernahme von Kundenvermögen der ins Visier der US-Justiz geratenen Bank Wegelin.
Wenn der Prozess gegen Pierin Vincenz beginnt, wird viel von mysteriösen Millionenzahlungen, überrissenen Spesen und womöglich Puffbesuchen die Rede sein. Doch für eine Massnahme, die der Ex-Raiffeisen-Chef zu verantworten hat, wird er nicht belangt, obschon sie für uns Steuerzahlende von erheblicher Bedeutung ist.
Gewiss, diese Massnahme ist juristisch unproblematisch. Mehr noch: Der tief gefallene Bankmanager wurde von seinesgleichen für diese Tat sogar gelobt.
Was viele nicht wissen: Die Raiffeisen-Gruppe ist kein Konzern mit vielen Filialen, sondern vielmehr ein Bankenverbund mit zahlreichen, juristisch unabhängigen Genossenschaften, die vertraglich miteinander verbunden sind. Ebenfalls wenigen bekannt ist, dass Genossenschafter bis 2014 verpflichtet waren, Nachschüsse von bis zu 8000 Franken zu leisten, sofern das Genossenschaftskapital nicht mehr gedeckt war.
Will man eine Hypothek abschliessen oder einen Kredit aufnehmen, muss man Genossenschafter werden. Auch anderen Bankkunden wurde die Zeichnung von Anteilscheinen schmackhaft gemacht, ohne dass sie auf diese Nachschusspflicht aufmerksam gemacht wurden. Man ging davon aus, dass die Klausel im Kleingedruckten toter Buchstabe sei.
Man zeichnete also einen Anteilschein von zum Beispiel 200 Franken, hätte aber im Extremfall 8000 Franken hinblättern müssen.
Die Pleite der Spar- und Leihkasse Thun Anfang der Neunzigerjahre lag weit zurück und war aus dem Gedächtnis verdrängt worden. Erst die staatliche Rettung der UBS im Jahr 2008 offenbarte, dass eben doch möglich war, was viele nicht für möglich hielten.
«Hat Vincenz die Bodenhaftung verloren?», schrieb ich 2012, also bevor er seine öffentliche Gunst verspielte. Ich kritisierte damals die Übernahme von Kundenvermögen der ins Visier der US-Justiz geratenen Bank Wegelin und andere Eskapaden des Raiffeisen-Chefs. Und machte auch auf die genannte Nachschusspflicht aufmerksam.
«Sie haben uns mit Ihrem Artikel schwer geschadet», sagte mir darauf der Kommunikationschef von Raiffeisen, der extra von St. Gallen nach Bern gefahren war. Nicht die Kritik an Vincenz rügte er, sondern die Warnung vor der Nachschusspflicht, die völlig irrelevant sei und dereinst abgeschafft würde, was dann zwei Jahre später tatsächlich erfolgte.
Und so hat Pierin Vincenz dafür gesorgt, dass im Notfall nicht mehr die Genossenschafter, sondern die Steuerzahlenden einspringen müssen. Vincenz hat Raiffeisen «too big to fail» gemacht.
Und wenn wir schon beim Thema «Too big to fail» sind: Da die Credit Suisse von einem Skandal in den andern stolpert, wurde etwa kolportiert, sie könnte von der UBS übernommen werden. Das darf nun wirklich nicht ernst gemeint sein.
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