Reaktionen zur BVG-Revision des Nationalrats
- viertesaeule
- 18. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Nov. 2022
Man kann vom Sozialpartnerkompromiss halten was man will: Das Votum von Sozialminister Alain Berset in der zurückliegenden BVG-Debatte hat es in sich: «Wenn jemand hier denke, dass es möglich sein wird, in einer so komplexen Materie ohne die Sozialpartner eine Mehrheit zu finden, dann wünsche ich viel Glück. Es wird sehr komplex, sehr kompliziert.»
Gewiss, die 2. Säule ist komplex. Doch das Modell des Bundesrats, welches das Kapitaldeckungsverfahren der 2. Säule mit einem Umlageverfahren à la 1. Säule vermischen will, wird die 2. Säule noch unübersichtlicher machen, als sie es bereits schon ist. Je komplexer eine Vorlage, desto schwieriger ist es, deren Notwendigkeit einem Volk zu erklären. Und desto einfacher ist es, sie zu bekämpfen.
Ein anderes Votum hat es ebenfalls in sich: «Sicher ist, dass eine Reform, die hier aus dem Parlament rausgeht und in einer Volksabstimmung erneut scheitert, nicht nur monetär die teuerste Variante ist, sondern auch diejenige, die am meisten Vertrauensverlust verursacht». Die das sagte ist grünliberale Melanie Mettler.
Kritik auch von rechts
Gerade dieses Scheitern, von dem die grünliberale Bernerin warnt, scheint wahrscheinlich, wenn man die Berichterstattung zahlreicher Medien zum Nennwert nimmt. Mit Damian Müller sagt selbst ein FDP-Ständerat, der Nationalrat habe den Fokus verloren. Gegenüber «Schweizer Personalvorsorge» kritisiert der Luzerner unter anderem die Senkung der Sparpflicht ab 20 Jahren. Das verteuere die Langfristkompensation um 50 Prozent - von 1,4 auf 2 Mrd. Franken pro Jahr. Das führe zu einem Leistungsausbau in 40 Jahren. Um das Rentenniveau zu halten, sei diese Massnahme nicht nötig.
Laut Damian Müller trifft das ausschliesslich KMU und Gewerbe, die BVG- oder BVG-nahe versichert sind. «Rechnen Sie mal, um wieviel sich so ein Junger verteuert», so Müller. «Bevor wir so etwas beschliessen, möchte ich ganz sicher sein, dass die ganze KMU-Wirtschaft das auch toll findet. Sonst laufen wir an der Urne wieder ins Desaster.»
Auch Melanie Mettler zweifelt an der Mehrheitsfähigkeit des Nationalratsmodells. Sie plädiert deshalb mit ihrem Minderheitsantrag für einen Rentenzuschlag für alle Neurentnern mit einem Alterskapital von unter 516'260 Franken während 20 Jahren. Unabhängig davon, ob sie von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffen sind.
Die anderen Parteien sind kaum auf Mettlers Antrag eingegangen. Lob erhielt sie dafür von Bundesrat Berset: Die Situation würde schon dadurch verbessert, indem die Dauer der Zuschusszahlungen um fünf Jahre, von 15 auf 20 Jahre, verlängert wird, sagte er in der Wintersession. Zudem sei der Minderheitsvorschlag der Grünliberalen auch eine Verbesserung gegenüber dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit, indem alle Versicherten einen Rentenzuschlag erhalten, deren Altersguthaben weniger als 516'260 Franken beträgt.
Das bedeutet, dass nicht nur 35 bis 40 Prozent der Übergangsgeneration über 15 Jahre, sondern 70 Prozent über 20 Jahre Anspruch auf einen Zuschuss hätten. «Was die Kompensation betrifft, wäre das eindeutig viel besser, es wäre ein sehr grosser Schritt nach vorne. Es wäre sogar das Doppelte dessen, was die Mehrheit der Kommission vorsieht», sagte Berset.
Linke sprechen von einer Abbauvorlage
Die Linken verteidigten das Bundesratsmodell und verteufelten den Vorschlag der Kommissionsmehrheit – und umgekehrt. Wobei nicht nur die Meinungen auseinandergingen, sondern auch die Fakten: «Das Leistungsniveau muss erhalten bleiben», versicherte Regine Sauter (FDP, ZH). Es sei klar, dass für eine Übergangsgeneration die Rentenverluste zu kompensieren seien.
Demgegenüber behauptete Flavia Wasserfallen (SP, BE), was die Kommissionsmehrheit hier präsentiere, sei eine Abbauvorlage, «welche die Jüngeren im Stich lässt, welche die Teilzeitangestellten im Stich lässt, welche die Frauen im Stich lässt, welcher die Gewerbler im Stich lässt.»
Was jetzt? Barbara Gysi (SP, SG) verwies auf die letzten 15 Jahre, in denen es bei den Pensionskassen einen «gigantischen Abbau» gegeben habe. Diese Leute hätten schon heute deutlich tiefere Renten. «Darum ist es eben nichts als recht, wenn wir jetzt ein Modell mit Zuschlägen für alle vorsehen.» Diejenigen, die jetzt von der Umwandlungssatzsenkung nicht direkt betroffen seien hätten in der Vergangenheit schon «massiv geblutet.»
Auch SGB-Präsident Pierre Yves Maillard (SP, VD) meinte, bei einem guten Teil der Mitarbeiter würden die Renten sinken. Er präzisierte aber, dass dies nur schwer vorauszusagen sei, weil das gewählte Kriterium für die Zuschläge völlig willkürlich sei. «Wenn die Summe des versicherten Lohns erhöht wird, ohne dass eine Rentenerhöhung einhergeht, werden gewisse Nettolöhne eine Kürzung um 4,5 bis 7 Prozent erfahren.»
Im Weiteren ging der SGB-Präsident mit den bürgerlichen Parteien hart ins Gericht: «Ihr seid die erste Generation rechtsbürgerlicher Parteien, die einen Rückschritt einleiten wollen. Ihr wollt die Leistungen in der AHV und in der 2. Säule kürzen. (…) Ihr seid nicht auf der Höhe Eurer Vorgänger im Vergleich zu dem, was sie zum Wohle dieses Landes getan haben.»
Besserstellung der Frauen
Und nun die Frauen: Von links bis rechts ist sich Bundesbern einig, dass die Situation für Frauen in der 2. Säule verbessert werden muss. Da rund 80 Prozent der Frauen teilzeit arbeiten, setzen Bundesrat und Nationalrat beim Koordinationsabzug an, der Teilzeitbeschäftigte – und zwar Frauen und Männer – unnötig benachteiligt. Deshalb soll der Koordinationsabzug von 25'095 auf 12'548 halbiert und gleichzeitig die Eintrittsschwelle auf 12'548 festgelegt werden. In diesem Punkt übernahm der Nationalrat das Modell des Bundesrats.
Grünliberale und FDP wollten den Koordinationsabzug sogar gänzlich abschaffen. «Dieser ist zu grossen Teilen dafür verantwortlich, dass Teilzeitarbeit und Mehrfachbeschäftigungen so schlecht versichert sind sowie tiefe Löhne grundsätzlich unterversichert sind», bemerkte Melanie Mettler.
Ein Koordinationsabzug von 12'000 ist zwar weniger nachteilig als einer von 25'000, aber eben immer noch nachteilig. Trotzdem lehnen die Linken die Abschaffung ab. Gemäss Katharina Prelicz-Huber (Gründe ZH) wäre eine vollständige Abschaffung im Preisleistungsverhältnis nicht stimmig. «Das heisst, es wären damit zu früh zu hohe Abzüge bei kleinen Löhnen mit der Folge einer am Schluss zu niedrigen Rente geschaffen worden. Das macht keinen Sinn.»
Linksgrün hat bereits mit dem Referendum gedroht, sollte die Version des Nationalrats vors Volk kommen. Doch der Ständerat sollte sich davor nicht allzu sehr einschüchtern lassen. Man kann vom Nationalrats-Modell halten was man will: eine Besserstellung vieler Frauen gegenüber dem geltenden Recht ist es allemal. Bei einem Referendum müssten also die linken und grünen Politikerinnen den erwerbstätigen Frauen erklären, weshalb sie ein Modell bekämpfen, das für Frauen unbestrittene Vorteile bringt.
Erschienen in Schweizer Personalvorsorge am 18. Januar 2022
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