«Ich habe mich in ein Phantom verknallt»
- viertesaeule
- 11. Juli 2015
- 5 Min. Lesezeit
Eigentlich suchte er auf Parship eine Sparringspartnerin: Gemeinsam Ski fahren, ins Theater gehen, Restaurants testen. Doch dann verliebte er sich in eine Lehrerin, obwohl er sie nur virtuell kannte. In unserem anonymen Erfahrungsbericht schildert ein 60-Jähriger, wie er online sein Glück fand. Allerdings nicht mit der Lehrerin.
«Wahrscheinlich hätte ich die sechsjährige Beziehung nicht beendet, wenn es Parship nicht gäbe. Krach hatten wir nicht. Doch die Vorstellung, wie die Freizeit gemeinsam zu gestalten ist, ging mehr und mehr auseinander. Sie ist beruflich stark engagiert, immer mehr auch an Wochenenden. Also einigen wir uns auf eine Trennung. Ein Kollege erzählte mir von der Onlinepartnerbörse Parship. Er sagte, er habe interessante Frauen kennen gelernt. Eine davon sei heute eine gute Kollegin.
Genau das möchte ich auch: eine gute Kollegin. Sie muss kulturaffin sein und am liebsten sportlich. Gemeinsam Ski fahren, gemeinsam ins Theater gehen und zu zweit Restaurants testen – das ist es, was ich suche. Völlig ungezwungen. Und sollte später etwas Ernsthaftes daraus werden, werde ich nicht abgeneigt sein. Doch es pressiert nicht. Ich habe drei Kinder, der Jüngste wohnt halb bei mir und halb bei der Mutter. Ich registriere mich subito bei Parship. Na ja, ich bin etwas ungestüm, weil ich schon lange diesen Gedanken mit mir herumtrage, aber zuerst wollte ich die alte Beziehung beendet haben.
Mein Profil füllte ich ruckzuck aus. Bei einigen Fragen gebe ich mir kaum Mühe, bei anderen hingegen schon. Zu beantwor-ten ist da zum Beispiel: ‹Ein positives Merkmal von mir›, ‹Diese Person würde ich gerne ein-mal treffen›, ‹Ein Ort, an dem ich mich besonders wohl füh-le›, ‹Wenn ich schlechte Laune habe…›, ‹Ein Tag ist für mich perfekt, wenn…›, ‹Eine schräge Angewohnheit von mir›…
Soll ich jetzt möglichst ehrlich sein? Möglichst originell? Lustig? Keine Ahnung. Jedenfalls ist die ganze Fragerei auf eine ernsthafte, langjährige Beziehung ausgerichtet. Und schon werde ich von Parship mit Mailnachrichten bombardiert. Wann immer eine Frau mein Profil durchstöbert, wird das vom Parship-Computer registriert, der so programmiert ist, dass er mir das mitteilt.
Da steht zum Beispiel: Drogistin, 55, schenkt dir ein Lächeln. Was soll das? Ich sehe auf der Page, dass man Unbekannten ein Lächeln schenken, aber auch eine Nachricht senden kann. Die Fotos der interessierten Frauen sind verschwommen. Meines bei ihnen wohl auch. Wenn ich nun einer Frau eine Nachricht sende, kann ich mein Foto freischalten, sodass nur sie es sehen kann. Und schon gehts los.
Eine Frau aus Baselland schlägt ein Treffen vor, in einer gemütlichen Beiz. Kein Wunder, ich habe ja geschrieben, eine gemütliche Beiz sei ‹ein Ort, an dem ich mich besonders wohl fühle›. Ich solle sie doch anrufen: 079… und so weiter. Vor zwei Tagen habe ich meine Sachen in der Wohnung der Ex-Partnerin geräumt – und schon soll ich an ein Date? Das geht mir doch etwas gar schnell.
Doch bereits am Tag danach schlage ich einer blonden, verlockend aussehenden Frau vor, sie zum Abendessen im Luzernischen zu treffen. O Gott, schon beim Absitzen sage ich mir, hoffentlich nimmt sie nicht auch noch ein Dessert. Am Aussehen fehlt es zwar nicht, doch dieses Kichern, wo es nichts zu lachen gibt… Der Kollege hat mich gewarnt. Ich solle die Frauen zuerst zum Kaffee treffen statt gleich zum Essen. Zudem bin ich alte Schule. Ich habe immer das Gefühl, ich müsse für die Kosten aufkommen. Keine der emanzipierten Frauen hat abgelehnt.
Fehler Nummer zwei: Gleich daten, ohne vorher während mehrerer Wochen schriftlich korrespondiert zu haben. Also hocke ich Abend für Abend am Bildschirm und schreibe, was das Zeug hält, meist natürlich Banales. Das tun dann auch die Frauen und erzählen nicht selten von ihren Kindern. Das erleichtert mir die Auslese. Mütter, die sich über ihre Kinder definieren, muss ich nun wirklich nicht haben. Aber da ist eine Lehrerin, die ebenfalls in Bern wohnt. Also eigentlich ein idealer Standort.
Die Frau schreibt wahnsinnig eloquent, witzig, scharfsinnig. Wir haben uns einiges zu schreiben, immer persönlicher, schon fast intim. Und jetzt passiert, was ich nicht für möglich hielt. Ich verliebe mich unbeschreiblich in die Unbekannte, die mittlerweile nicht mehr so unbekannt ist. Dem Kollegen sage ich: ‹Ich glaube, ich spinne. Ich habe mich in eine Frau verliebt, die ich noch nie gesehen habe.› Er lacht und sagt: ‹Das soll es geben.›
Die Lehrerin und ich vereinbaren ein Date, natürlich in einer gemütlichen Berner Beiz. Aber erst in zwei Wochen. Vorher treffe ich mich noch an einem Sonntagabend mit einer geschiedenen Italienerin, deren erwachsene Söhne in Berlin wohnen. Die Frau, geschätzte zehn Jahre älter als auf dem Foto, füllig, wie italienische Mütter nicht selten sind, kommt gleich zur Sache. Sie suche einen Deutschschweizer, sagt sie mir im Bahnhofbuffet in Lausanne, damit er sich auch mit ihren beiden erwachsenen Söhnen unterhalten könne.
Ich glaube, ich verstehe nicht recht. Ich suche eine Kollegin. Als Stiefvater erwachsener Deutscher sehe ich mich eher weniger. Warum das denn so wichtig sei? frage ich. Sie versteht die Frage nicht. Für sie ist es das Selbstverständlichste der Welt, dass ihr Neuer sich mit ihren Söhnen verständigen kann. So komme ich natürlich etwas ins Provozieren, schliesslich bin ja auf die Lehrerin fixiert. Das Date in Lausanne will ich einfach noch abgehakt haben, zumal es diesmal nicht zum Essen, sondern bloss für ein Glas Wein ist. Sie kommt derart in Rage, dass sie schliesslich aufsteht und mir beteuert, sie wisse sehr wohl, weshalb ich geschieden sei: ‹Du hast ein kaltes Herz. Du hast keine soziale Intelligenz.› Und weg ist sie. Verstohlen schaue ich in die Runde und stelle fest, dass die Gäste im spärlich besetzten Bahnhofbuffet nicht Zeuge unserer Debatte sind. Ich fahre eine Stunde früher zurück als ursprünglich geplant. Ich grinse in mich hinein. Der Ausflug nach Lausanne war Unterhaltung pur, sicher spannender als der ‹Tatort›.
Und jetzt natürlich das lang ersehnte Date mit der Angebeteten. Was ich nicht für möglich halten wollte, tritt ein: Bei ihr funkt es nicht. Sie ist brutal ehrlich. Wenn es nicht funkt, will sie es erst gar nicht versuchen. Auf dem Heimweh fühlte ich mich, wie ich mich seit Teenagerzeiten nie mehr gefühlt hatte. Doch da sind ja noch meine Kinder. Die Älteste, die in Luzern wohnhafte Tochter, schiebt gerade eine Krise. Ich gehe sie besuchen. Das tut ihr gut – und mir auch. Die Lehrerin habe ich schnell vergessen. Doch dass ich mich in ein Phantom verliebte, gibt mir zu denken. Die Episode öffnet mir die Augen.
Suche ich wohl doch etwas Ernsthaftes und nicht nur eine Kollegin? Da ist ja noch jene Baslerin, eine durchaus interessante Frau. Eigentlich habe ich bei den Sucheinstellungen mein Revier mittlerweile auf den Kanton Bern eingeschränkt, nachdem ich anfänglich alle Kantone mit Ausnahme von Jura und Tessin angegeben hatte. Aber jene Baslerin, die mir von ihrem Besuch in der Fondation Beyeler erzählte, möchte ich noch sehen, bevor ich mich nur noch auf Frauen im Raum Bern konzentriere. Zumal sie, wie sie mir schrieb, nicht Baslerdeutsch spricht. Sie ist sogar bereit, nochmals in die Fondation zu kommen.
Das erste Date in einem Museum? Das kommt mir komisch vor. Doch warum nicht mal etwas Neues probieren? Wir schauen uns die Gemälde an, tauschen uns aus, eigentlich ist sie eine wildfremde Frau, aber irgendwie sprechen wir zusammen, als wären wir schon längst zusammen. Sollte uns jemand beobachten, so würde er davon ausgehen, dass wir ein Paar sind, vielleicht sogar verheiratet. Wir gehen essen. Sie ist sympathisch, schön, kulturaffin und sportlich. ‹Was suchst du für eine Frau?›, fragt sie mich. ‹So eine wie du›, erwidere ich. Wir treffen uns ein zweites Mal, ein drittes Mal. Auf Parship melde ich mich ab. Zweifellos schön, dass ich so schnell fündig wurde. Aber irgendwie auch schade, dass die ganze Aufregung nur von kurzer Dauer war.»
Erschienen in der Berner Zeitung am 11. Juli 2015
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