Eine BVG-Revision Ja; aber nicht zu jedem Preis
- viertesaeule
- 15. Juli 2022
- 4 Min. Lesezeit
Zu Beginn zwei Kernsätze von zwei Ständeräten: Alex Kuprecht (SVP/SZ) sagte in der Märzausgabe: «Wir müssen den Frauen aufzeigen, mit was sie im BVG im Bereich der Teilzeitanstellungen und der Mehrfachanstellungen rechnen können». Er machte seine Aussage im Hinblick auf die AHV-Abstimmung vom 25. September, bei der es unter anderem um eine Anpassung des Frauenrentenalters geht.
Und Erich Ettlin (Mitte/OW) meinte Mitte Mai 2000: «Wollen wir die BVG-Revision durchbringen, müssen wir uns unter den Bürgerlichen einig sein».
Nach der BVG-Debatte im Ständerat vom 15. Juni 2022 müssen wir konsterniert feststellen: Ziel nicht erfüllt. Der Ständerat hat sich für eine Zusatzschlaufe
entschieden, was die linken Sprachrohre genüsslich ausschlachteten, so etwa
SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard: «Der Plan der bürgerlichen Befürworterinnen des höheren Frauenrentenalters ist nicht aufgegangen», wird der Gewerkschaftspräsident mit Bundesratsambitionen in den Tamedia-Blättern zitiert. «Sie können im Abstimmungskampf keine glaubwürdige Lösung für die berufliche Vorsorge anbieten.»
Die Tagespresse hat ausführlich darüber berichtet, wie es zu dieser Rückweisung an die Kommission gekommen ist. Das führt uns zum zweiten der eingangs zitierten Kernsätze. Jenem von Erich Ettlin, wonach die Bürgerlichen geeint sein müssten, um der BVG-Revision zum Durchbruch zu verhelfen. Sie waren es wieder nicht.
War es früher wiederholt die CVP, die in der Sozialpolitik die Gunst der Linken suchte, war es diesmal die FDP rund um den Urner Josef Dittli. Sie hatte in der ständerätlichen Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-S) zusammen mit den Linken eine allzu grosszügige und vor allem allzu teure Variante beschlossen. Die Kosten würden sich über all die Jahre auf 25 Mrd. Franken summieren – auf mehr als das Doppelte als beim Nationalratsmodell. Und statt knapp 40 Prozent der Versicherten über 15 Jahrgänge wären es beim Vorschlag der SGK-S um die 80 Prozent der Versicherten über 20 Jahrgänge, die mit Rentenzuschüssen rechnen könnten.
So hätte der Ständerat in der zurückliegenden Session über drei Varianten befinden sollen: den allzu teuren seiner Kommission, den noch teureren Minderheitsantrag Rechtsteiner, das Giesskannenmodell des Bundesrats zu übernehmen, das auf dem Vorschlag der Gewerkschaften und Teilen der Arbeitgeber beruht, sowie den Minderheitsantrag Kuprecht, der Version des Nationalrats zu folgen.
Weil aber Kommissionsmitglied Josef Dittli mit keinem dieser Varianten leben konnte, reichte er einen Einzelantrag mit einem neuen Vorschlag ein. Er würde statt der 25 «bloss» 12 Milliarden kosten, nur unwesentlich mehr als beim Nationalratsmodell mit seinen 9 Milliarden. Der Vollständigkeit halber sei hier noch ergänzt, dass beim Bundesratsmodell die Kosten auf 29 Mrd. Franken veranschlagt werden.
Dittlis Einzelantrag führte schliesslich zum Rückweisungsantrag der Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot. Die Freiburgerin, die vor einem halben Jahr den Platz des zurückgetretenen früheren SP-Parteichefs Christian Levrat eingenommen hatte, hat erst tags zuvor vom Vorschlag Dittlis Kenntnis genommen.
«Sie werden mir zustimmen, dass es nicht möglich ist, die Folgen und Auswirkungen abzuschätzen oder im Plenum im Detail zu analysieren», begründete sie ihren Rückweisungsantrag. Aus ihrer Sicht sei dies Aufgabe der Kommission.
Ihr Rückweisungsantrag wurde dank Unterstützung der Linken mit 28 zu 15 Stimmen bei 2 Enthaltungen gutgeheissen.
So stellt sich die Frage, wieweit dieses Fiasko die AHV-Abstimmung zu beeinflussen vermag. Dazu ist zu vermerken, dass es Josef Dittli einzig um die Rentenzuschüsse geht. Eine Verbesserung für die Frau wird es allemal geben. Alle Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, haben eine Senkung des Koordinationsabzugs zur Folge, was Teilzeitbeschäftigten und damit zu einem grossen Teil den Frauen zugutekommt.
Doch wie sage ich es dem Kinde? Abstimmungen werden mit Emotionen gewonnen, nicht mit Fakten.
Zurück zur Ständeratsdebatte: Alle sagten sie, was eigentlich alle schon seit Jahren sagen: der Umwandlungssatz muss gesenkt und damit die Umverteilung reduziert werden. Was aber einige bürgerliche Ständeräte auch sagten, war in dieser Deutlichkeit höchstens hinter vorgehaltener Hand zu hören: Eine BVG-Revision Ja; aber nicht zu jedem Preis.
Am deutlichsten sagte dies der Zürcher Freisinnige Ruedi Noser, der nicht der SGK-S angehört. Als Unternehmer und ehemaligem Mitglied einer grossen Sammelstiftung hat er seine eigene Sicht der Dinge. Für ihn ist der zu hohe Umwandlungssatz nur ein Teilproblem. Die «weltweit im Durchschnitt tiefste Kapitalrendite», der administrative Aufwand und die Komplexität seien andere Probleme, die bei einer Revision zu berücksichtigen wären. «Das heutige System ist besser als die Revision», sagt er.
Hannes Germann (SVP/SH) bezeichnete die Umwandlungssatzdiskussion gar als ein Scheinproblem mit einem grossen Schadenspotenzial. Die Reduktion des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent schmälere die Pensionsverluste um lediglich 400 Millionen Franken pro Jahr. Er wehrt sich dagegen, dass diese Verluste nun mit viel höheren Rentenzuschlägen kompensiert würden. Damit würde das Problem der Umverteilung von Jung zu Alt verschärft, statt es zu entschärfen.
Besser sei es, so Germann, den bisher eingeschlagenen Weg weiterführen, wo doch die Umverteilung zurückgegangen sei. «Es ist für mich nicht wert, diese Revision durchzuzwängen, nur um eine Übergangsgeneration noch besser zu stellen.»
Peter Hegglin verweist darauf, dass nur 12 Prozent direkt von der Umwandlungssatzsenkung betroffen sind. Mit denjenigen, die nur ein kleines Überobligatorium haben, seien es 20 Prozent. «Für diese Gruppe sind Kompensationsmassnahmen vorzusehen, für diese Gruppe allein», sagt Hegglin. Es brauche demzufolge nicht eine grosse Kompensation für 80 Prozent der Versicherten.
Hegglin ist gegen den Zusatzantrag von Dittli wie auch gegen den Rückweisungsantrag von Chassot. Er unterstützt den Minderheitsantrag Kuprecht und somit die Version des Nationalrats. Und dies – wie gesagt – als Ständerat der Mitte. Da wird nicht mehr katzgebuckelt.
Zum Schluss eine Aussage von Rolf Dörig, dem Präsidenten des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV). Auf die Frage eines Journalisten, wie der Plan B bei einem Scheitern der BVG-Revision aussähe, meinte er an der Jahresmedienkonferenz lakonisch: «Die BVG-Revision darf nicht scheitern».
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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