Der Ständerat lässt sich von den hohen Kosten nicht abschrecken
- viertesaeule
- 15. Dez. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Pensionskassen haben drei Beitragszahlende: Arbeitgebende, Arbeitnehmende und Finanzmarkterträge. Für Ruedi Noser gibt es einen vierten: die Steuerzahlenden. «Die 2. Säule ist doch nichts anderes als steuerunterstütztes Sparen», sagte der Zürcher FDP-Ständerat am zweiten Sessionstag in der BVG-Debatte. Personen, die keine Steuern bezahlten, hätten vom BVG schlussendlich nichts.
Es geht gerade um den Koordinationsabzug, die Besserstellung von Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigten und somit um die Frage, wieweit Tieflohnbezüger via BVG zu versichern sind. Da wirft Ständerat Noser seinen Ratsmitgliedern vor, «das grosse Ganze komplett aus den Augen verloren zu haben».
Denn die Tieflohnbezüger, die mit der tieferen Eintrittsschwelle mit ins BVG-Boot genommen werden sollten, hätten laut Noser nichts davon. «All diese Frauen im Tieflohnbereich, die Sie unterstützen wollen, zahlen keine Steuern. Denen nehmen Sie damit nur Geld weg. Da muss man einfach einmal Klartext reden.» Und weil diese Frauen keine Steuern zahlten, hätten sie auch kein Interesse, ins BVG einzuzahlen. Wir machen hier ein steuerbegünstigtes Zwangssparen».
Mag das Votum des Zürcher Unternehmens nicht wirklich konstruktiv sein - ganz falsch ist es nicht. Es sorgte zwar nicht für Kopfschütteln, aber bei einigen mindestens für ein schmelmisches Schmunzeln.
200'000 statt 450'000 neu Versicherte
Was Tieflohnbezüger und damit grossmehrheitlich Frauen betrifft, so will der Ständerat nicht so weit gehen wie der Nationalrat. «Es ist in einem bestimmten Mass Vorsicht geboten», mahnt SVP-Ständerat Alex Kuprecht. Die grosse Kammer will die Eintrittsschwelle auf 12'548 Franken senken. Damit würden rund 450'000 Personen neu im BVG versichert. Die kleine Kammer indessen senkt die Eintrittsschwelle lediglich auf 17'208 Franken. Das verringert den neu zu versichernden Personenkreis auf rund 200'000 Personen.
Dafür geht der Ständerat beim Koordinationsabzug weiter als der Nationalrat, indem 85 Prozent des AHV-Lohns zu versichern sind, statt einen Abzug von fixen 12548 Franken vorzunehmen. Eintrittsschwelle und Koordinationsabzug sind für Alex Kuprecht zwei Hürden, die gemeinsam zu betrachten sind und eine entsprechende Wechselwirkung haben.
Wie Kuprecht kämpft auch Maya Graf für die beiden Eckwerte. Sie ist die einzige Linke, die sich zu Eintrittsschwelle und dem prozentualen Koordinationsabzug äusserte. Die grüne Baselbieterin weist darauf hin, dass das genannte Modell bei allen Berechnungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) am besten abgeschnitten habe. Bei allen Alterskategorien stiegen die Altersguthaben für die niedrigsten Einkommen bis 50'000 Franken Jahreslohn am stärksten an. «Wir haben also eines der besten Modelle für kleinere bis mittlere Einkommen hier vor uns liegen», ist die Co-Präsidentin von Alliance F überzeugt.
Minderheitsantrag Müller
Doch für FDP-Ständerat Damian Müller ist das Modell des Ständerats zu teuer. In seinem Minderheitsantrag plädiert er für einen Koordinationsabzug von 12548 Franken - analog des Bundesrats und des Nationalrats.
Er stützt sich auf den Bericht mit der finanziellen Gesamtschau der Ausgleichsmodelle bis ins Jahr 2045. Daraus geht hervor, dass der viel grössere Teil der Mehrbelastung für Arbeitgebende und Arbeitnehmende nicht für die Übergangsgeneration entsteht, sondern durch Massnahmen der langfristigen Kompensation. Und dies, weil der prozentuale Koordinationsabzug von nur 15 Prozent mit rund 12 Milliarden Franken Mehrbelastung viel mehr einschenkt als die Lösung von Bundesrat und Nationalrat mit der Halbierung des Koordinationsabzugs. Müllers Antrag wurde mit 34 zu 10 Stimmen abgelehnt.
Hans-Guck-in-die-Luft
«Wollen wir tatsächlich etwas für die Teilzeitangestellten machen, ja oder nein?». Die rhetorische Frage stellte SVP-Nationalrat Alex Kuprecht als Replik auf Müllers Minderheitsantrag. «Wenn wir etwas machen, müssen wir uns bewusst sein, dass es ohne zusätzliche Kosten nicht gehen wird.» Bei der AHV-Abstimmung habe man den in Teilzeit arbeitenden Frauen versprochen, in der 2. Säule etwas für sie zu machen. «Es gilt also jetzt, auch nach dem positiven Ergebnis der Abstimmung vom 24. September, nicht einfach den Hans-Guck-in-die-Luft zu machen und das Versprechen zu ignorieren. Dieses gemachte Versprechen gilt es nun einzulösen.»
Und zum Koordinationsabzug sagte Kuprecht noch, den meisten Versicherten sei der Betrag nicht bekannt. «Auch diejenigen, die in diesem Bereich tätig sind, müssen immer wieder nachschauen, wie gross der Betrag eigentlich ist». Künftig heisse es einfach, 85 Prozent des Lohns seien versichert. Bei einem einzigen Lohn würden 15 Prozent abgezogen, bei drei Löhnen würden pro Lohn jeweils 15 Prozent abgezogen.
«Wir müssen immer wieder einen Blick auf die Praktikabilität und Verständlichkeit dieses doch so komplexen Gesetzeswerkes werfen», so Kuprecht wörtlich. Ausgerechnet ein Zahlenmensch, der in der 2. Säule wie kaum ein anderer über Detailkenntnisse verfügt, spricht sich für eine bessere Verständlichkeit aus. Wenn dieser Aufruf doch erhört würde? Nicht nur der Autor dieser Zeilen wäre dankbar dafür.
Das Problem der Mehrfachbeschäftigten
Noch ein Wort zu den Mehrfachbeschäftigten, die insgesamt ein Einkommen erzielen, das über dem Schwellenwert zu liegen kommt. Der Nationalrat wollte solche Fälle zwangsweise dem BVG unterstellen, wusste aber selber nicht, wie das zu bewerkstelligen sei. Der Ständerat als Zweitrat soll dies richten, hiess es in der Nationalratsdebatte vor Jahresfrist.
Die SGK-S hat dies versucht, räumte Mitte-Ständerat Primin Bischof ein: «Ganz gelungen ist es uns nicht». Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten unverhältnismässig hohe Kosten zahlen, damit die Arbeitnehmerin am Schluss eine ganz kleine Rente bekäme. Es gäbe dann Situationen, in denen die Kosten höher wären als die Rente.
Somit können sich Mehrfachbeschäftigte, die bei keinem Arbeitgeber die Eintrittsschwelle erreichen, bei der Auffangeinrichtung oder allenfalls bei ihrer Vorsorgeeinrichtung versichern, müssen aber nicht. Das ist heute schon so. Eine Verbesserung gegenüber heute liegt einzig in der tieferen Eintrittsschwelle.
Aufgrund der Traktandenliste war davon auszugehen, dass die BVG-Revision am zweiten Sessionstag durchgewunken würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Debatte über das zweite Kernthema, die Finanzierung der Zuschüsse für die Übergangsgeneration, wurde vertagt und fand nach Drucklegung dieser Ausgabe statt. Mehr dazu in der Januarausgabe.
Erschienen in «Schweizer Personalvorsorge» Mitte Dezember 2022
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