Der politische Preis, um Stimmen zu erkaufen
- viertesaeule
- 15. Nov. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Hauchdünn ist die Anpassung des Frauenrentenalters Ende September angenommen worden. Wen hätte man zum Schuldigen gemacht, wäre das Resultat auf die andere Seite gekippt? die Ständeräte der Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-S). Sie hatten es nicht geschafft, ihren Vorschlag zur BVG-Revision noch vor der Abstimmung behandlungsreif zu machen.
Kurz zur Erinnerung: Dank zusätzlichen Sitzungen sah es im Frühling danach aus, der Ständerat werde in der Sommersession das Geschäft beraten. «Wir müssen für die AHV-Abstimmung den Frauen aufzeigen, mit was sie im BVG im Bereich der Teilzeitanstellungen und der Mehrfachanstellungen rechnen können», sagte der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht.
Weil der Vorschlag der SGK-S allzu grosszügig ausfiel und deshalb nicht mehrheitsfähig war, schickten die Ständeräte die Vorlage zurück an die Kommission. Und diese schaffte es wieder nicht, die Vorlage so auszuarbeiten, dass der Ständerat vor der AHV-Abstimmung darüber hätte debattieren können.
Frauen und Übergangsgeneration
Mittlerweile liegt der Vorschlag auf dem Tisch. Wollte man die beiden wichtigsten Punkte mit einem Wort benennen: Sie hiessen Frauen und Übergangsgeneration. Was die Besserstellung der Teilzeitarbeitenden und Mehrfachangestellten und damit mehrheitlich der Frauen betrifft, so war sich die SGK-S schon im Frühsommer einig: Der Koordinationsabzug soll auf 15 % des versicherten Lohns von zurzeit 86'040 reduziert werden. Das wären maximal 12'906 Franken, was ungefähr der Hälfte des heute gültigen Betrages entspricht.
Für Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F, ist ein prozentualer Koordinationsabzug die «einzig faire Lösung». Und weil nun jener Teil von einer grossen Mehrheit getragen wird, möchte die grünliberale Bernerin die Revision aufteilen: Zuerst sollen die weitgehend unbestrittenen Punkte wie eben die Besserstellung von Teil- und Mehrfachbeschäftigte umgesetzt werden. Erst in einem zweiten Schritt sei die viel schwierigere Frage der Rentenausfallkompensation zu lösen.
Die Aufteilung von Vorlagen, um wenigstens die unumstrittenen Punkte ins Trockene zu bringen, ist ein gängiges und zweifellos zielführendes Vorgehen. Doch im vorliegenden Fall geht das nicht. Die Reduktion des Koordinationsabzugs hat einen höheren versicherten Verdienst zur Folge, sprich höhere Beiträge. Auf der anderen Seite bleibt der zu hohe Mindestumwandlungssatz bestehen.
Selbst die Linken wollen keine Aufteilung. Das mag auf den ersten Blick erstaunen. Mit der Aufteilung liesse sich die Verbesserung für Frauen ins Trockene bringen und dann die unliebsame Senkung des Umwandlungssatzes mit bewährten Verzögerungstaktiken hinausschieben.
Doch für die SP ist die Senkung des Koordinationsabzugs nicht prioritär, weil sich deren Vorteile nicht sofort auswirkten. Wichtiger sind ihr die flächendeckenden Rentenzuschüssen, wie sie im Revisionsvorschlag des Bundesrats vorgesehen sind. In der NZZ sagte Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz: «Rentenzuschläge sind das einzige Instrument, das unmittelbar wirkt und auch den Generationen hilft, die bald in Rente gehen».
Womit wir beim Sprengsatz der laufenden BVG-Revision wären: bei den Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration. Sie waren es, die für die abermaligen Verzögerungen führten.
Sparbeginn erst mit 25
Doch vorerst interessiert an dieser Stelle, wie der von der SGK-S nach langem Hin und Her ausgeheckte Vorschlag von jenem des Nationalrats abweicht. So soll die Eintrittsschwelle nur auf 17'208 statt auf 12'548 Franken und der Sparbeginn nicht bereits mit 20, sondern erst mit 25 vonstatten gehen, wie das heute auch der Fall ist und vom Bundesrat ebenfalls so empfohlen wird.
Auch bei den Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration weicht die SGK-S vom Nationalratsmodell ab. Das war abzusehen, nachdem auch bürgerliche Sozialpolitiker das Nationalratsmodell als nicht mehrheitsfähig kritisierten. Während der Nationalrat nur jenen Versicherten Zuschüsse gewähren will, die von der Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes direkt betroffen sind, weitet die SKS-S den Kreis der Begünstigten aus.
Das erkennt man etwa an der geschätzten Zahl der Begünstigten: Beim Nationalratsmodell, das auf dem Anrechnungsprinzip beruht, profitierten 35 bis 40 %, beim Modell der SGK-S rund 50 %. Die Aargauer Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel findet keinen Gefallen daran, dass auch Versicherte Zuschüsse erhalten sollen, die gar keine Rentenkürzung erleiden. «Aber wenn das der politische Preis ist, um die Vorlage mehrheitsfähig zu machen, so kann ich damit leben». Und gleichzeitig erklärt die Sozialpolitikerin: Wenn aber auf der anderen Seite die Linke wie bei der AHV so oder so eine Verleumdungskampagne starte, so bringe es wenig, diesen politischen Preis zu bezahlen.
Ähnlich sieht das Alex Kuprecht: «Ich bin nicht bereit, sachlich unbegründete Zuschüsse zu akzeptieren, nur um dadurch Stimmen zu erkaufen.» 18 Beispiele seien mit dem Anrechnungsprinzip durchgerechnet worden. In keinem hätte es Rentenverluste gegeben. Deshalb stellt der SVP-Ständerat den Minderheitsantrag, das Anrechnungsprinzip des Nationalrats zu übernehmen. Bei diesem Modell werden die durch die Senkung des Mindest-Umwandlungssatzes im BVG-Minimum erlittenen Einbussen durch einen Zuschuss ausgeglichen. Die bisherigen Rentenhöhe bleibt somit erhalten. Bei Rentensystemen mit überobligatorischen Leistungen bestimmen immer die entsprechenden Vertragsreglemente die Höhe der Leistungen.
Was ist beim Kapitalbezug?
Nun hat aber das Modell der SGK-S noch einen anderen Pferdefuss: Zuschüsse erhalten jene Versicherten, deren Alterskapital eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Bis zu einem Alterskapital von 215'000 Franken gibts den vollen Zuschlag, bis 430'200 Franken gibts etwas weniger. Hier ist nun überhaupt nicht klar, ob und wie Kapitalbezüge angerechnet werden sollen.
In der SGK-S wurde das auch nicht gross diskutiert. Es hiess lediglich, der Bundesrat müsse dies auf dem Verordnungsweg regeln. Es kann ja nicht sein, dass eine Person mit PK-Geldern die Hypothek zurückzahlt, nur um dann im Alter dank dem tieferen Alterskapital in den Genuss von Zuschüssen zu kommen. Was ist aber mit all jenen, die beim Jobwechsel nur den einen Teil in die neue PK einwerfen und den anderen auf einem Freizügigkeitskonto deponieren? Was gilt bei Scheidungen, wenn sich die Partner darauf einigen, das Kapital nicht brüderlich zu teilen, um zwar nicht Steueroptimierung, dafür Zuschussoptimierung zu betreiben? Fragen über Fragen, die dann der Bundesrat beantworten müsste - wenn überhaupt.
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