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So absurd werden Kinder begünstigt

Von AHV-Anreizen, über BVG-Lohnobergrenzen bis zur Strukturreform. Und: Wenn ein Kind alles erhält und seine Geschwister das Nachsehen haben.


Der Bundesrat hat Ende November die Leitlinien zur Reform AHV2030 festgelegt. Statt das Referenzalter zu erhöhen, soll die Weiterbeschäftigung übers Referenzalter hinaus gefördert werden. Damit sind auch ergänzende Massnehmen in der 2. und 3. Säule geplant, etwa eine Anhebung des Mindestalters für den Bezug von Altersleistungen.

 

Ein Vorgeschmack dessen, mit welchen Argumenten gegen die Vorschläge des Bundesrats opponiert werden dürfte, lieferte die Debatte zu zwei Motionen, die am ersten Tag der laufenden Wintersession im Nationalrat behandelt wurden.

 

Motion 25.3423 will den Freibetrag nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters von heute 16'800 auf 21'800 Franken pro Jahr anheben. Motion 25.3424 will die freiwillige Weiterarbeit nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters in der AHV attraktiver machen.


Beide Vorstösse wurden am 4. April 2025 von der ständerätlichen Sozialkommission eingereicht, in der Sommersession vom Ständerat und nun auch in der Wintersession vom Nationalrat angenommen.


Die Attraktivität der Weiterarbeit soll durch zwei Elemente gesteigert werden: Durch höhere Zuschläge beim Rentenaufschub sowie durch die Beibehaltung oder Erhöhung des heutigen Kürzungssatzes von 6,8 Prozent pro Jahr beim Rentenvorbezug.

 

Höherer Kürzungssatz gleich schlechtere Bedingungen bei Frühpensionierungen. Das ist demokratiepolitisch heikel, wurde doch der Stimmbevölkerung bei der Reform AHV 21 eine Senkung dieser Sätze in Aussicht gestellt.

 

Marti: Gegen den Deckmantel

 

Die SP stört, dass die Kürzungssätze künftig nicht mehr versicherungsmathematisch, sondern politisch festgelegt werden sollen. «Die SP-Fraktion wehrt sich gegen solche Rentenaltererhöhungen durch die Hintertür», sagte die Baselbieter SP-Nationalrätin Samira Marti. Unter dem Deckmantel von Erwerbsanreizen würden vor allem Personen begünstigt, die ohnehin länger arbeiten und über hohe Einkommen verfügten.

 

Bemerkenswert ist der Begriff «Deckmantel der Erwerbsanreize». Beide Motionen haben das Ziel, dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Die ketzerische Bemerkung sei erlaubt: Schon 2011 lancierte der damalige FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann die Fachkräfteinitiative. Bis die Motionen und die Reform AHV2030 umgesetzt sind, wären dann gegen die 20 Jahre vergangen. Man darf nur hoffen, dass KI nicht dafür sorgen wird, dass bis dann ganz andere Anreize geschaffen werden müssen.

 

Bürgin: Für BVG-Obergrenze


Wie in der Oktober-Ausgabe berichtet, will Mitte-Nationalrätin Yvonne Bürgin mit der Motion 25.4253 den maximal versicherbaren BVG-Lohn senken. Noch bevor der Bundesrat darüber befand, griff die ständerätliche Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-S) das Thema an ihrer Sitzung vom 20. Oktober 2025 auf und reichte das Postulat 25.4398 ein. Der Bundesrat soll in einem Bericht darlegen, wie sich eine solche Begrenzung auswirken würde.

Ein Bericht dürfte sich jedoch erübrigen: Der Bundesrat hat die Motion Bürgin inzwischen zur Annahme empfohlen. Eine tiefere Obergrenze des versicherbaren Lohnes stärke die «Systemgerechtigkeit der Sozialversicherungen», schreibt er.


Zudem verweist der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 19. November 2025 auf das Entlastungspaket 27, das eine Steuererhöhung auf Kapitalbezügen aus der 2. und 3. Säule vorsieht. Dadurch würden Steuervorteile grosser Kapitalbezüge gegenüber Renten reduziert. Ob diese Steuererhöhung im Parlament Mehrheiten findet, ist allerdings fraglich.


Sauter: Flexibel statt rigide


Was immer unter «Systemgerechtigkeit» zu verstehen ist. Bei den Begünstigtenordnungen haben Ungerechtigkeiten System. Solche sieht Regine Sauter etwa beim Nachlass der Freizügigkeitskonti. Die rigide gesetzliche Reihenfolge führe beim Todesfall vor dem Rentenalter zu stossenden Ungleichbehandlungen. Ein einziges Kind in Ausbildung könne die gesamte Freizügigkeit erhalten, während ältere Geschwister leer ausgehen, so die FDP-Politikerin.


Mit der Motion 25.4289 fordert Sauter deshalb eine Anpassung der Freizügigkeitsverordnung (FZV), sodass begünstigte Hinterbliebene beim Tod des Kontoinhabers gleich behandelt werden wie bei der Pensionskasse.


Der Bundesrat bestätigt in seiner Stellungnahme vom 19. November 2025 das Problem: Ein 24-jähriges Kind in Ausbildung erhält heute das gesamte Kapital, während die 22-jährige, bereits erwerbstätige Schwester leer ausgeht. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass Erwerbstätigkeit wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeute.

Der Bundesrat betont zudem, dass jede fixe Änderung der Reihenfolge zwangsläufig neue Ungleichheiten schafft. Sauter verlangt jedoch ausdrücklich keine starre Lösung, sondern die gleiche Flexibilität wie im BVG.


Rechsteiner: übrige Kinder


Ins gleiche Horn bläst die Motion 25.3368 von Thomas Rechsteiner. «Schweizer Personalvorsorge» berichtete in der Juli-Ausgabe darüber. Der Appenzeller Mitte-Nationalrat will in der weitergehenden beruflichen Vorsorge die Unterscheidung zwischen obligatorisch rentenberechtigten Kindern und übrigen Kindern aufheben.

Sein Beispiel zeigt die Absurdität heutiger Regelungen: Das jüngere Kind ist 17 Jahre und 11 Monate alt. Beim Tod des versicherten Elternteils erhält es für einen Monat eine Waisenrente. Das ältere Kind ist 20-jährig und berufstätig. Es erhält das höhere Todesfallkapital.

 

Anders gesagt: Hier ist das berufstätige Kind bessergestellt als der 17-jährige Teenager. Das ist alles andere als stringent.


Mettler: vergessenes Postulat

 

Eigentlich wollten wir an dieser Stelle auch über die Strukturreform berichten, genauer über das Postulat 21.3877 der ehemaligen GLP-Nationalrätin Melanie Mettler. Die inzwischen in der Stadtberner Exekutive politisierende Bernerin wollte die Strukturreform BVG, die 2011 in Kraft getreten war, durch eine unabhängige Expertise evaluieren lassen. Das Postulat reichte sie vor viereinhalb Jahren ein, genauer am 17. Juni 2021. Obschon der Bundesrat das Postulat zur Annahme empfohlen hatte,

tut er sich sehr schwer damit.

 

Am 1. März 2024 heisst es in einem Bericht über Motionen und Postulate, die Forschungsarbeiten seien im Gang. Sie würden als Grundlage für den Bericht des Bundesrates dienen, der für die zweite Hälfte 2024 geplant sei.

 

Damit wurde bekanntlich nichts: Am 24. April 2025 erklärte das BSV gegenüber «Schweizer Personalvorsorge», der Bericht sei «in Erarbeitung» und werde «voraussichtlich gegen Ende Jahr» erscheinen.

 

Auch damit wird nichts: Nach neusten Informationen soll der Postulatsbericht «nun voraussichtlich» im Frühjahr 2026 verabschiedet werden.

 

 Erschienen in «Schweizer Personalvorsorge» am 9. Dezember 2025

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